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Abschlussbericht aus Villavicencio

Nachdem ich zurückkam musste ich erst einmal die Erlebnisse sacken lassen und verarbeiten. In so einer langen Zeit sammelt man doch so einige Erfahrungen.

Meine Arbeit in Porfia erlebte ich, als würde ich mich in einer anderen Welt, fern vom westeuro­päischen Kontext, befinden. Probleme, soziale Beziehungen und der Alltag laufen dort ganz an­ders ab, als im idyllischen Mindelheim, das ich gewohnt war.

Es war eine sehr interessante Erfahrung in eine so andere Kultur für einen längeren Zeitraum eintauchen zu dürfen.

In Gesprächen und in der Arbeit war ein beständiges Thema die Armut. Ich habe gelernt, dass Armut an sich nichts Schlechtes ist. Aber es zu etwas Schlechtem wird, wenn sie selbstzerstörerische Züge gegenüber den Armen annimmt. Gleichzeitig vermittelt Armut Werte, wie das Teilen, die Fähigkeit zu kämpfen, die Wertschätzung des Anderen, die Freude, die Relativierung des Überflusses und der wirtschaftlichen Machtobjekte.

In Europa wird die Armut verteufelt, es wir nichts Positives darin gesehen. Es ist offensichtlich, dass die ungerechte Verteilung von Gütern und Wohlstand fürchterliche Konsequenzen für die Bevölkerung nach sich zieht: Gewalt, Hunger, schlechte medizinische Versorgung, schlechte Bildungsmöglichkeiten. Besonders verwundbar sind dabei natürlich die Kleinsten.

Trotzdem sind gerade Kinder ein lebender Beweis dafür, dass trotz des noch so schweren Umfeldes das Beste in einem Menschen hervorkommen kann: solidarisches Teilen, in Gemeinschaft zusammenleben, Schutz und Fürsorge für die Freunde und ganz besonders für die eigenen Brüder und Schwestern.

Der Zusammenhalt und das Teilen in armen Ge­meinden ist sehr stark. Derjenige, der etwas hat gibt an den, der nichts hat, auch wenn es nur ein Stückchen Panela (ein Lebensmittel, das aus Zuckerrohrsaft gewonnen und als Tee zu­bereitet getrunken wird) ist.

Da ich nicht so an die institutionelle Arbeit gebunden war, also an die Schule, und den Hauptteil meiner Zeit mit Arbeit im Viertel verbrachte, gab es keinen festen Zeitplan, abgesehen von den wöchentlichen Gruppenstunden. Das ermöglichte mir in vielen Momenten die Eigeninitiative zu ergreifen und eigene Ideen zu schaffen und zu verwirklichen.

Das war rückblickend ein großes Glück für mich, ohne Druck und total frei, aber trotzdem mit Ver­antwortung und Pflichten, zu arbeiten. Ich hatte die Chance, sehr viel Zeit für den unmittelbaren Kontakt und spontane Gespräch mit Kindern, Jugendlichen, Lehrern und Leuten aus meinem Viertel zu nutzen.

Im Gespräch wollten die Leute immer wissen, wie es in Europa ist und ich erzählte ihnen ein bisschen von Deutschland, dem Schulsystem, der Regierung, usw. Da ich neu war und als Ausländerin herausstach, war ich bald relativ bekannt, was etwas ungewohnt aber nicht schlimm war, da mir die Leute sehr offen, freundlich, respektvoll und interessiert begegnet sind. Vor allem die Eltern der Gruppe Sembradores de paz waren sehr aufgeschlossen.

Mein Aufenthalt spiegelt die vielen Möglichkeiten der Selbstentfaltung wieder, die ein Freiwilliger, sobald er über 18 ist, durch einen Auslandsaufenthalt erhält. Vielleicht hat es bei dem ein oder anderen die Motivation geweckt vorauszuschauen, sich anzustrengen und zu kämpfen, um sich nach dem Abitur den Wunsch auch einmal in ein fremdes Land zu reisen, zu erfüllen.

Kinder und Jugendliche, aber auch Lehrer, sagten mir öfters, sie wollen irgendwann Europa kennenlernen. Wenn man Menschen aus fremden Kulturen und Ländern trifft, kann wohl auf beiden Seiten Fernweh aufkommen.

Meine Einsatzstelle war eine neue Einsatzstelle. Ein Versuch, der gelungen ist, denn dieses Jahr darf an derselben Stelle eine neue Volontärin mit den Brüdern leben.

Anfangs konnte ich mir das Leben in einem Brüderorden nicht so wirklich vorstellen. Aber es stellte sich als sehr spannend heraus, dass mal auszuprobieren und dem sehr weltoffenen, toleranten und auf Bildung ausgerichteten Orden so nahe sein zu dürfen. Ich habe dort mit den Brüdern und durch die Brüder sehr gute Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen. Wir waren ein bunter Mix aus unterschiedlichsten Persönlichkeiten und Weltauffassungen. Dieser Mix und Kontakt hat mich persönlich sehr geprägt. Ich durfte die Bildung und Entwicklung der Kinder und Jugendlichen mitgestalten, dank Bruder Juan Pablo, der mir die Tür zu den Klassenzimmern und Lehrern öffnete und dank Bruder Tiberio, der mich stets mit zu den Projekten und Kinderprogrammen nahm und mir viel Gestaltungsfreiraum und Möglichkeiten zur Verwirklichung von Ideen gab.

Was hat sich getan: Das Volontariat verhalf mir zu mehr Unabhängigkeit in meiner persönlichen Entwicklung und zu einem besseren Verständnis für kulturelle Unterschiede. Letztlich beeinflusste es auch die Entscheidung in der Studienwahl.

Bezüglich CMI, bin ich zu einer Person geworden, die von ihren Erfahrungen im Ausland und vor allem über die Provinz Norandina (Ecua­dor – Colombia – Vene­zuela) berichten kann.

Dadurch, dass sich jemand dafür entscheidet, einen freiwilligen sozialen Dienst im Ausland mit den Maristen zu leisten, vernetzt sich nicht nur die internationale Maristen Gemeinschaft noch stärker, dieser Mensch trägt auch zum besseren internationalen, friedlichen Verständnis bei.

„Cada ca beza es un mundo y cada mundo es una historia.“ (Jeder einzelne spiegelt eine eig

ene Welt wieder und jeder dieser Welten erzählt eine eigene Geschichte.) ist für mich zu einem Motto geworden, denn ohne Zweifel:

Jeder hat eine Geschichte zu erzählen – seine Ge­schichte!

Sarah im September 2018